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Gender Gaps – Reformoptionen der (Steuer-)Politik

Lisa Paus, Jutta Allmendinger, Michelle Boden, Lena Calahorrano, Stefan Bach, Katharina Wrohlich, Johannes Becker, Leonie Koch, Tim Bayer, Lenard Simon, Jakob Wegmann, Florian Neumeier, Daniel Stöhlker, Pascal Zamorski, Laura Seelkopf
ifo Institut, München, 2024

ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 08, 03-31

Bundesfamilienministerin Lisa Paus betont, dass Wirtschaft wie Gesellschaft von einer ökonomischen Gleichstellung von Frauen und Männern profitieren. Individuelle Potenziale könnten besser gehoben, wirtschaftliche Eigenständigkeit ermöglicht, Fachkräfte gesichert und Armutsrisiken von Frauen gemildert werden, wenn man sich an den unerfüllten Wünschen und Bedarfen der Menschen orientiere. Dabei setze die wirtschaftliche Eigenständigkeit eine substanzielle Erwerbstätigkeit und partnerschaftliche Aufgabenteilung voraus. Sie sei ein tauglicher Maßstab, um das Steuerrecht und andere staatliche Rahmenbedingungen zu reformieren.

Die finanzielle Gleichstellung von Frauen und Männern, Müttern und Vätern sei noch lange nicht erreicht, erklären Jutta Allmendinger und Michelle Boden, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Insbesondere die immensen Unterschiede in den Lebenseinkommen zeigen dies deutlich. Aus ihrer Sicht wird es noch einige Zeit dauern, bis die ökonomische Gleichstellung tatsächlich Realität sei. Dies liege nicht nur an langwierigen politischen Entscheidungsprozessen, sondern auch an hartnäckigen Vorurteilen und Stereotypen, die Frauen und Männer in verschiedene Rollen zwängen und Entscheidungen beeinflussen. Ein Teufelskreis aus Strukturen und Kulturen.

Lena Calahorrano, Fraunhofer FIT in St. Augustin, verweist auf die in Deutschland im internationalen Vergleich hohe Differenz zwischen den Arbeitsstunden von Männern und Frauen, dem Gender Hours Gap. Teilweise lasse sich dieser durch Fehlanreize des deutschen Steuer- und Transfersystems erklären. Voraussetzung für die Wirksamkeit verbesserter Erwerbsanreize sei eine qualitativ hochwertige Betreuungs- und Pflegeinfrastruktur. In ihrem Beitrag geht sie auf die möglichen Auswirkungen von Reformen bei der Lohn- und Einkommensbesteuerung auf die unterschiedlichen Gender Gaps ein.

Die Fehlanreize im deutschen Steuer- und Transfersystems mit ihren verzerrenden Wirkungen auf das Arbeitsangebot von Frauen werden auch von Stefan Bach und Katharina Wrohlich, beide DIW Berlin, thematisiert. Eine Reform des Ehegattensplittings zugunsten einer Individualbesteuerung sehen sie rechtlich und politisch kaum zu erreichen. Als Kompromisslinie zeichne sich in der Diskussion ein Realsplitting ab. Als sinnvoll erachten sie, die Begünstigung von Minijobs bei Einkommensteuer und Sozialbeiträgen für Personen im Haupterwerbsalter abzuschaffen.

Johannes Becker, Universität Münster, diskutiert die Reform der Ehegattenbesteuerung als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel. Um eine Verbesserung von Arbeitsanreizen von Zweitverdienern zu erzielen, wäre die Belastung der Zweitverdienereinkommen zu verringern. Da die Belastung daher rühre, dass das Eheprivileg mit zunehmendem Zweitverdienereinkommen abgebaut wird, gibt es die Möglichkeit, das Eheprivileg zu verringern, den Abbau durch eine zusätzliche Subvention zu bremsen oder das Eheprivileg des Splittings durch ein anderes, weniger verhaltensverzerrendes zu ersetzen.

Leonie Koch, ifo Institut, betrachtet den Einfluss der Steuerklassen auf das Arbeitsangebot von Ehepartner*innen. Die Einführung der automatischen Einstufung in Steuerklasse IV/IV für neuverheiratete Paare im Jahr 2013 bedeutete niedrigere Grenzsteuersätze für den Zweitverdienenden, typischerweise die Ehefrau. Mit dieser Änderung hat sich die Erwerbsbeteiligung der Frauen erhöht, während die Erwerbsbeteiligung von Männern unverändert blieb, und sich die Lohnlücke zwischen Partnern aufgrund eines Anstiegs des Bruttoarbeitseinkommens von Frauen verringert. Eine Verschiebung von Steuerklasse III/V hin zu IV/IV könne die Gleichstellung von Frauen und Männern bei den Einkommen verbessern und das gesamte Arbeitsangebot erhöhen.

Tim Bayer, Universität Göteborg, Lenard Simon, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, und Jakob Wegmann, Universität Bonn, befassen sich mit Arbeitsanreiz- und Verteilungseffekten des deutschen Lohnsteuerklassensystems. Lohnsteuerklassen ermöglichen es Ehepaaren, ihre Steuervorauszahlung durch Anpassung ihrer Lohnsteuer zu ändern. Als Reaktion auf eine Senkung der Lohnsteuer steigern Frauen ihr Bruttoerwerbseinkommen. Ein Effekt, der einerseits mit einem begrenzen Verständnis der Funktionsweise von Steuerklassen und zum anderen durch unvollständiges Poolen der Einkommen von Ehepartnern erklärt werden könne.

Florian Neumeier, Pascal Zamorski, beide ifo Institut, und Daniel Stöhlker, ehemals ifo Institut, zeigen, dass die zum 1. Januar 2020 erfolgte Mehrwertsteuersenkung auf Binden und Tampons vollständig an die Konsument*innen weitergegeben wurde. Kurz nach Einführung der Mehrwertsteuersenkung stiegen jedoch die Preise für Slipeinlagen kräftig an. Die finanzielle Entlastung der Mehrwertsteuersenkung ist somit großteils verpufft. Ihre Ergebnisse verdeutlichen, dass Steueränderungen unerwartete und möglicherweise unerwünschte Effekte haben können, insbesondere wenn die Preisbildung komplexe Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Produktkategorien umfasst.

Für Laura Seelkopf, LMU München, helfe die fiskalsoziologische Brille nicht nur, einen hinterfragenden Blick auf die eigenen Disziplinen zu werfen. Sie zeige auch auf, dass das Steuersystem ein sehr gutes Feld zur Analyse von Geschlechterdiskriminierung generell ist. Aus politik-ökonomischer Sicht sei vor allem die Frage interessant, warum manche Länder manche Arten von Diskriminierung abschaffen und andere nicht. Denn es sei keineswegs so, dass die Diskriminierung von Frauen durch den Steuerstaat unausweichlich wäre oder auf jeden Fall immer geringer wird.

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