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Die europäische Nutzfahrzeugindustrie im Umbruch

Willi Diez
ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, 1990

in: ifo Schnelldienst, 1990, 43, Nr. 26/27, 22-27

Mit der Kooperation zwischen Renault und Volvo und der Übernahme des spanischen Nutzfahrzeugherstellers ENASA durch IVECO zeichnet sich der Beginn einer neuen Phase der Umstrukturierung in der europäischen Nutzfahrzeugindustrie ab. Sie muß vor dem Hintergrund veränderter Marktdaten durch den europäischen Binnenmarkt einerseits, die Öffnung Osteuropas andererseits gesehen werden. An die Realisierung des EG-Binnenmarktes knüpfen sich große Erwartungen im Hinblick auf den europäischen Nutzfahrzeugmarkt. Beim grenzüberschreitenden Verkehr schätzt man ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 4% für den Straßengüterverkehr bis zum Jahr 2000. Allerdings muß man berücksichtigen, daß der grenzüberschreitende Verkehr nur einen Anteil von knapp 20% am gesamten europäischen Gütertransport hat. Eine Modellrechnung zeigt, daß eine Erhöhung der Fahrzeugauslastung um 10% eine Reduktion der Fahrzeugbestände von 12 % zur Folge hätte. Auch der osteuropäische Markt bietet nicht so viele Exportchancen, da die Produktionskapazität in den RGW-Staaten bei 1,1 Mio. LKW liegt. Ein indirekter positiver Effekt ist wahrscheinlich der Export von Gebrauchtfahrzeugen nach Osteuropa. Durch eine Deregulierung des Güterverkehrmarktes befürchtet man einen Rückgang des Preisniveaus für Transportleistungen, aber gleichzeitig erhofft man einen verstärkten Markteintritt von Kleinunternehmern. Hersteller mit einem rein nationalen Focus haben angesichts der großen Herausforderungen (Aufbau eines europaweiten Vertriebs- und Servicenetzes, steigende Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, Kosteneffizienz) keine Zukunft mehr. Die Entwicklung führt insgesamt zu einer "Europäisierung" der Nutzfahrzeugindustrie und zu einer Steigerung des Wettbewerbes.