ifo Konjunkturprognose

ifo Konjunkturprognose Herbst 2024: Deutsche Wirtschaft steckt in der Krise fest

Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise fest. Dabei belasten sowohl konjunkturelle als auch strukturelle Faktoren. Nach einem Rückgang um 0,3% im vergangenen Jahr wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr wohl nur stagnieren. In den kommenden beiden Jahren dürfte eine allmähliche Erholung einsetzen, im Zuge derer die Wirtschaftsleistung um 0,9 bzw. 1,5% zunehmen wird. Damit wurde die Wachstumsprognose gegenüber der ifo Konjunkturprognose Sommer 2024 deutlich um 0,4 Prozentpunkte für das laufende Jahr und um 0,6 Prozentpunkte für das Jahr 2025 gesenkt. Entgegen den Erwartungen können sich Industrie- und Konsumkonjunktur nur sehr langsam aus ihrer Starre befreien.

Abbildung: News Illustration für Prognosen

Lage der deutschen Wirtschaft

Seit mehr als zwei Jahren kam es zu keiner Belebung der Wirtschaftsleistung. Einem leichten Anstieg in einem Quartal folgt in der Regel ein ähnlich starker Rückgang im Folgequartal. So schrumpfte die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal 2024 um 0,1%, nachdem sie zu Jahresbeginn noch um 0,2% zulegen konnte.

Die Krise ist in erster Linie eine strukturelle Krise. Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel, Corona-Pandemie, Energiepreisschock und eine veränderte Rolle Chinas in der Weltwirtschaft setzen etablierte Geschäftsmodelle unter Druck und zwingen Unternehmen, ihre Produktionsstrukturen anzupassen. Deutschland ist von diesen Veränderungen im Vergleich zu anderen Ländern besonders stark betroffen. Zum einen entwickelt sich das Erwerbspersonenpotenzial ungünstiger und die Bevölkerung altert schneller. Zum anderen trifft der Strukturwandel insbesondere das Verarbeitende Gewerbe, das in Deutschland einen deutlich größeren Anteil an der Wirtschaftsleistung hat. Ein höheres Gewicht als in anderen Ländern haben dabei die energieintensiven Industriezweige, die auf die hohen Energiekosten reagieren, sowie der Maschinenbau und die Automobilindustrie, die neben Umstrukturierungen im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung und der Digitalisierung einer zunehmenden Konkurrenz aus China ausgesetzt sind.

Vieles deutet darauf hin, dass die strukturellen Anpassungsprozesse noch nicht abgeschlossen sind. Die langfristigen Auswirkungen auf die Produktionsmöglichkeiten und damit auf das Produktionspotenzial werden wohl erst rückblickend in einigen Jahren beurteilt werden können. Die Investitions- und Produktivitätsflaute der vergangenen Jahre hat zumindest vorübergehend zu einer deutlichen Abwärtsrevision des Produktionspotenzials geführt. Aus heutiger Sicht liegt es im Jahr 2024 um gut 2% oder 70 Mrd. Euro unter den Schätzungen aus dem Jahr 2019 . Die schwache private Investitionstätigkeit dürfte eine Folge von Geschäftsschließungen, Produktionsstilllegungen und verlagerungen sowie der hohen wirtschaftspolitischen Unsicherheit sein. Der Produktivitätsstillstand geht einher mit Verschiebungen beim Beschäftigungsaufbau vom Industrie- zum Dienstleistungssektor, die auch im Zuge des demografischen Wandels stattfanden.

Die Krise ist aber auch eine konjunkturelle Krise. Die Auslastung der vorhandenen gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten sinkt seit mehr als zwei Jahren und die Unterauslastung hat zuletzt nochmals spürbar zugenommen. Den ifo Konjunkturumfragen zufolge klagen die Unternehmen in allen Wirtschaftsbereichen über eine hartnäckige Nachfrageschwäche. Im Baugewerbe und im Verarbeitenden Gewerbe sind die Auftragspolster der vergangenen Jahre abgeschmolzen, und eine Trendwende bei den Neuaufträgen lässt weiter auf sich warten. Die konsumnahen Bereiche profitieren kaum von den kräftigen Reallohnsteigerungen und den damit verbundenen Kaufkraftgewinnen. Vielmehr halten sich die privaten Haushalte mit Ausgaben zurück und legen einen zunehmenden Teil ihrer Einkommensanstiege als Ersparnis zurück. So stieg die Sparquote in den vergangenen beiden Quartalen um 0,5 Prozentpunkte auf zuletzt 11,3% des verfügbaren Einkommens und lag damit deutlich über dem Durchschnitt der zehn Jahre vor der Corona-Pandemie (10,1%). Hätte sich das Sparverhalten gegenüber dem Schlussquartal 2023 nicht verändert, hätte der private Konsum im ersten Halbjahr 2024 um knapp 1% zulegen können, anstatt zu stagnieren.

Grafik ifo Konjunkturprognose Herbst 2024: Bruttoinlandsprodukt in Deutschland

Prognose der deutschen Wirtschaft

Die derzeit vorliegenden Frühindikatoren lassen für das dritte Quartal 2024 keine konjunkturelle Trendwende erwarten. Das ifo Geschäftsklima hat sich im August zum dritten Mal in Folge verschlechtert und die Auftragslage wird in allen Wirtschaftsbereichen bis zuletzt als schlecht eingeschätzt. Erst im kommenden Jahr wird mit einer allmählichen Erholung gerechnet. Immerhin sind die Auftragseingänge im Baugewerbe und im Verarbeitenden Gewerbe zuletzt nicht weiter gesunken. Das Exportgeschäft wird von der weltwirtschaftlichen Entwicklung gestützt, die im Prognosezeitraum mit Zuwächsen zwischen 0,5 und 0,6% pro Quartal ihre derzeitige Dynamik wohl halten wird. Allerdings dürfte die schlechte Wettbewerbssituation die exportorientierten Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes weiterhin belasten. Zwar haben die gesunkenen Energiekosten die Situation in den vergangenen zwölf Monaten etwas verbessert. Dennoch beurteilen die deutschen Unternehmen ihre Wettbewerbssituation sowohl auf den europäischen als auch auf den außereuropäischen Märkten deutlich schlechter als die Unternehmen in anderen europäischen Ländern. Im kommenden Jahr wird die Baukonjunktur vor allem vom öffentlichen Bau getragen. Der Wohnbau dürfte zunächst stagnieren, da neu erstellte Wohnimmobilien kaum erschwinglicher geworden sind. Während die Kreditzinsen seit Juli noch einmal deutlich gesunken sind, haben sich neu erstellte Wohnimmobilien bislang nur wenig verbilligt. Erst mit steigenden Realeinkommen wird die Konjunktur beim Wohnbau wieder an Fahrt gewinnen. Da die Löhne im weiteren Prognosezeitraum deutlich stärker steigen als die Preise, wird die Kaufkraft weiter zurückkehren. Damit dürfte sich auch die Konsumkonjunktur erholen.

Alles in allem dürfte die Wirtschaftsleistung im laufenden Quartal unverändert bleiben und erst zum Jahresende wieder leicht um 0,2% gegenüber dem Vorquartal zulegen. Damit dürfte das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr stagnieren. In den kommenden beiden Jahren dürfte eine allmähliche Erholung einsetzen, im Zuge derer die Wirtschaftsleistung um 0,9 bzw. 1,5% zunehmen wird. Damit wurde die Wachstumsprognose gegenüber der ifo Konjunkturprognose Sommer 2024 deutlich um 0,4 Prozentpunkte für das laufende Jahr und um 0,6 Prozentpunkte für das Jahr 2025 gesenkt. Entgegen den Erwartungen können sich Industrie- und Konsumkonjunktur nur sehr langsam aus ihrer Starre befreien. Der Anstieg der Wirtschaftsleistung im Jahr 2026 wird durch die hohe Zahl an Arbeitstagen überzeichnet. Kalenderbereinigt beträgt der Anstieg des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts lediglich 1,2%.

Die schwache Konjunktur wird den Beschäftigungsaufbau verlangsamen und die Arbeitslosigkeit zunächst weiter steigen lassen. Die Arbeitslosenquote wird in diesem Jahr mit durchschnittlich 6,0% um 0,3 Prozentpunkte höher liegen als 2023. In den beiden Folgejahren dürfte die Quote im Zuge der allmählichen Erholung und des weiterhin ausgeprägten Arbeitskräftemangels wieder auf 5,8 bzw. 5,3% sinken. Allerdings wird die Beschäftigung dann nur noch geringfügig zunehmen. Hier macht sich der demografische Wandel bemerkbar, der ab dem kommenden Jahr zu einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials führen wird. Entsprechend wird auch die Wachstumsrate des Produktionspotenzials bis zum Ende des Jahrzehnts deutlich auf nur noch 0,4% zurückgehen.

Die Inflationsrate wird weiter sinken, von durchschnittlich 5,9% im vergangenen Jahr auf 2,2% in diesem und 2,0 bzw. 1,9% in den nächsten beiden Jahren. Insbesondere Energie wird in den kommenden Monaten für die Verbraucher günstiger als im Vorjahr. Die Energiekomponente dürfte daher bis ins kommende Jahr hinein den Preisauftrieb dämpfen. Die Kerninflationsrate, also der Anstieg der Verbraucherpreise ohne Energie, wird sich langsamer zurückbilden und in diesem und im nächsten Jahr mit 2,7 bzw. 2,3% über der Gesamtinflationsrate liegen. Insbesondere die Teuerung bei arbeitsintensiven Dienstleistungen wird nur langsam zurückgehen, da steigende Lohnkosten den Preisdruck hochhalten. Im Jahr 2026 dürfte die Kerninflationsrate dann auf 2,0% und damit auf das Inflationsziel der EZB zurückgehen.

Mitte Juli hat sich die Bundesregierung auf eine umfangreiche Wachstumsinitiative mit 49 Maßnahmen geeinigt, von denen sie sich einen spürbaren Impuls auf das Produktionspotenzial erhofft. In der vorliegenden Prognose wurden nur wenige Punkte der Wachstumsinitiative berücksichtigt, da für die meisten Maßnahmen noch keine konkreten Gesetzesinitiativen vorliegen. Zu den berücksichtigten Maßnahmen zählen insbesondere die steuerlichen Entlastungen aus dem Steuerfortentwicklungsgesetz, von denen die Anpassung des Einkommensteuertarifs für die privaten Haushalte den größten Impuls haben dürfte. Allerdings waren diese Entlastungen in ähnlicher Größenordnung bereits in den vorangegangenen Prognosen berücksichtigt. Andere Maßnahmen, wie die Stromsteuersenkung für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, waren ebenfalls bereits in früheren Prognosen enthalten, werden nun aber bis über das Jahr 2025 hinaus verlängert. Darüber hinaus werden die Unternehmen durch geänderte Abschreibungsregeln und eine Ausweitung der Forschungsförderung entlastet, die allerdings erst ab 2026 wirksam werden dürften. Insgesamt wird das Defizit im Staatshaushalt in diesem und im nächsten Jahr mit 2,0 bzw. 1,3% der Wirtschaftsleistung etwas höher ausfallen als noch im Sommer erwartet. Hierzu trägt vor allem die schwächere konjunkturelle Entwicklung bei. Im Jahr 2026 dürfte das Finanzierungsdefizit dann auf 0,9% der Wirtschaftsleistung zurückgehen.

Die deutsche Wirtschaft steckt fest, und sie dümpelt in einer Flaute, während andere Länder den Aufwind spüren.

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen

Eckdaten der Prognose für Deutschland

  2024 2025 2026
Bruttoinlandsprodukt (Veränderung gegenüber Vorjahr in %)  0,0 0,9 1,5
Erwerbstätige (1.000 Personen) 46.185 46.346 46.468
Arbeitslose (1.000 Personen) 2.773 2.723 2.491
Arbeitslosenquote (in % der zivilen Erwerbspersonen) 6,0 5,8 5,3
Verbraucherpreise (Veränderung gegenüber Vorjahr in %) 2024 2025 2026
-  Gesamtinflationsrate 2,2 2,0 1,9
 - Kerninflationsrate (ohne Energie) 2,7 2,3 2,0
Finanzierungssaldo des Staates 2024 2025 2026
 - in Mrd. EUR -86,3 -57,7 -41,8
 - in % des Bruttoinlandsprodukts -2,0 -1,3 -0,9
Leistungsbilanzsaldo 2024 2025 2026
 - in Mrd. EUR 303,9 305,1 310,2
 - in % des Bruttoinlandsprodukts 7,0 6,8 6,7

Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2024 bis 2025: Prognose des ifo Instituts
© ifo Institut Sept. 2024

 

Risiken

  • Energiepreise
  • Sparquote
  • strukturelle Veränderungen
Kontakt
Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

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