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Die Zukunft des europäischen Finanzsystems – zwischen Risiken und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit?

Thorsten Beck, Karlheinz Walch, Benjamin Weigert, Hans-Peter Burghof, Sascha Steffen, Dorothea Schäfer, Markus Demary, Niklas Taft, Aurora Li, Michael Peters, Melina Ludolph, Lena Tonzer, Harald Hau, Tim-Ole Radach, Marcel Thum,
ifo Institut, München, 2024

ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 07, 03-36

Thorsten Beck, Europäisches Hochschulinstitut Florenz, sieht in einer wirksamen Regulierung und Aufsicht ein bewegliches Ziel, das sich an veränderte Umstände und Geschäftsmodelle der Banken anpassen müsse. Es gäbe mehrere politische Veränderungen, die die Widerstandsfähigkeit des europäischen Bankensystems stärken könnten, auch ohne größere Reformen. Die Frage eines rentablen Bankensystems, das die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Übergangsprozesse unterstützen kann, könne jedoch nur durch die Schaffung eines Binnenmarkts für das Bankwesen und die Errichtung einer Kapitalmarktunion gelöst werden.

In ihrer Analyse sehen Karlheinz Walch und Benjamin Weigert, Deutsche Bundesbank, die europäische Wirtschaft vor erheblichen strukturellen Herausforderungen. Um sie meistern zu können, sei es wünschenswert, wenn die Bankenunion finalisiert und die Kapitalmarktunion vertieft wird. Mehr Integration und höhere Resilienz würden so Hand in Hand gehen und dafür sorgen, dass das europäische Finanzsystem einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leistet.

Hans-Peter Burghof, Universität Hohenheim, konstatiert, dass das Regulierungssystem selbst starke Anreize zu einer weiteren Marktkonzentration erzeugt. Dieses Vorgehen sei ausgesprochen kontraproduktiv, wenn man systemische Risiken tatsächlich eingrenzen und dem Too-big-to-fail- Problem wirksam begegnen möchte. In den vergangenen Jahren sei es versäumt worden, ein wirksam nach dem tatsächlichen Systemrisiko differenzierendes Aufsichtssystem zu schaffen. Unverändert würden kleine Institut durch Aufsicht relativ zu ihrem Geschäftsvolumen sehr viel stärker belastet als große.

Auch wenn Europa keine Bankenkrise während der SVB-Pleite erlebt habe, hätte der Markt diese (Liquiditäts-)Risiken in den Aktienkursen eingepreist, analysiert Sascha Steffen, Frankfurt School of Finance. In dieser Periode sei es für den Aktienkurs weniger relevant gewesen, ob die Banken aus den GIIPS-Ländern kommen, obwohl diese Banken tendenziell mehr riskante Staatsanleihen in den Büchern halten. Z.Zt. gäbe es keine Hinweise auf das Wiederauftreten einer Doom Loop unter den europäischen Ländern, allerdings bleiben Doom Loop-Risiken bestehen.

Aktuell attestiere die EZB dem Finanzsystem eine erhöhte Stabilität und der ESRB den Banken eine verbesserte Widerstandsfähigkeit. Dafür sei es noch zu früh ist, argumentiert Dorothea Schäfer, iaw Universität Bremen. Die zinsinduzierten Runs auf die mittelgroßen US-Regionalbanken sowie auf die europäische Großbank Credit Suisse im Jahr 2023 könnten Warnungen vor größerem gewesen sein. Die Umstände der aktuellen Zins-Rallys in den USA und im Euroraum seien historisch. Historische Singularitäten hätten das Potenzial zum „Schwarzen Schwan-Effekt“. Äußerste Wachsamkeit und eine Stärkung der Kapitalbasis der Banken seien daher die Gebote der Stunde.

Aus Sicht von Markus Demary und Niklas Taft, IW Köln, habe das Bankensystem seit der Pleite der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers durch regulatorische Anforderungen und eine neue Aufsichtsarchitektur an Stabilität gewonnen. Auch wenn das Bankensystem robust erscheint, seien Schieflagen einzelner Institute nicht ausgeschlossen. Insolvenzen gehören aber zu einer funktionierenden Marktwirtschaft dazu und die Fälle der Banco Populare und der Credit Suisse hätten gezeigt, dass die Aufsichtsbehörden auch große Institute stabilisieren können.

Das Rezept von den entfesselten Banken als Motor für Wachstum und Wohlstand passe nicht zu den Herausforderungen unserer Zeit, argumentieren Aurora Li und Michael Peters, Bürgerbewegung Finanzwende. Stabilität sei heute keine lästige Pflicht mehr, sondern ein Standortvorteil. In einer guten und richtigen Regulierung sehen sie die Grundvoraussetzung, um den kommenden Herausforderungen begegnen zu können. Komplexitäten in der Regulierung sollten durch eine ausreichend hohe ungewichtete Eigenkapitalquote vereinfacht werden. Immer weitere Sonderregeln, die zugunsten der Banken entstanden sind, sollten ein schnelles Ende finden.

Melina Ludolph und Lena Tonzer, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle IWH, betonen, dass regulatorische Eingriffe mit Anpassungsprozessen einhergehen, die zu Friktionen führen und Auswirkungen auf Akteure außerhalb des primären Anwendungsbereichs haben können. So zeige die Forschung, dass sich strengere Bankenregulierung kurzfristig auf die Einkommensungleichheit zwischen Haushalten auswirken kann. Bankenregulierung könne nicht in Isolation betrachtet werden.

Harald Hau, Swiss Finance Institute und Universität Genf, Tim-Ole Radach, TU Dresden, und Marcel Thum, ifo Dresden, befassen sich mit der Governance der Banken. Der Krisenfall Credit Suisse habe verdeutlicht, wie schlechte Governance eine Großbank trotz Einhaltung der Eigenkapitalanforderungen in Bedrängnis bringen kann. Politisierung und fehlende finanzwirtschaftliche Kompetenzen in Aufsichtsräten gingen oft mit schlechterer Bankperformance einher. Diese Erkenntnisse seien bisher von Bankaufsichtsbehörden allerdings nicht beachtet und regulatorisch genutzt worden.

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