Clemens Fuest und Stephanie Dittmer im Interview – Jahresbericht 2023

Das ifo will exzellente Wissenschaft abliefern. Und die wirtschaftspolitische Debatte mitgestalten. Im Rahmen einer Podcast-Aufnahme im ifo-Studio diskutieren Clemens Fuest und Stephanie Dittmer, wie Strategie und Führung dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen.

Foto: Aufzeichnung der Podcast Nr. 20 mit Stefanie Dittmer und Clemens Fuest

Muss man für eine wissenschaftliche Institution dezidierte Organisationsziele festlegen? Eigentlich entstehen Ziele doch automatisch im Rahmen dessen, was man erforscht, oder?

CLEMENS FUEST Wissenschaft hat viel mit Freiheit zu tun. Gleichzeitig ist es aber wichtig, dass der »Purpose« klar ist. Was würde eigentlich verloren gehen, wenn es das ifo Institut nicht gäbe? Deshalb brauchen wir klare Ziele. Das bedeutet jedoch nicht, dass man jeder Wissenschaftlerin, jedem Wissenschaftler vorschreibt, was zu tun ist.

STEPHANIE DITTMER Diese Ziele brauchen wir auch, um zukünftig die besten Köpfe zu gewinnen. Der Markt hat sich sehr verändert. Wir haben viel investiert, um erstklassigen Nachwuchs zu rekrutieren und uns dafür anders aufzustellen.

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ifo Podcast: Wie leitet man ein Wirtschaftsforschungsinstitut?

Strategie, Markenentwicklung, Führung – Der Wissenschaftsbetrieb kann davon profitieren, sich intensiv damit zu beschäftigen, sagen Prof. Dr. Clemens Fuest und Dr. Stephanie Dittmer, die als Doppelspitze das ifo Institut leiten. Wie strategische Ziele und wissenschaftliche Freiheit zusammenpassen, erläutern sie im Interview.

Kerngeschäft des ifo ist die Wissenschaft. Doch welche Bedeutung haben die Ziele für den nicht wissenschaftlichen Teil der Organisation?

STEPHANIE DITTMER In den Management- und Servicefunktionen müssen wir ebenfalls gute Leute für uns begeistern, denn dieser »Backstagebereich« muss helfen, die Ziele des Instituts mit umzusetzen. Es geht darum, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu befähigen, ihren Job möglichst gut zu tun. Zum Teil gibt es im Management- und Servicebereich aber auch eigene Ziele, die nicht direkt mit der Wissenschaft zu tun haben, sondern eher über greifende Themen sind.

Sie haben einen Strategieprozess angestoßen, als Sie beide am ifo angefangen haben. Dieses Vorgehen kennt man eigentlich eher aus der Unternehmenswelt. Warum in der Wissenschaft?

CLEMENS FUEST In der Wissenschaft tätigt man genauso wie in Unternehmen Investitionen. Das heißt, man tut heute Dinge, die sich hoffentlich in einigen Jahren positiv auswirken. Ziele zu definieren, kann daher nur der erste Schritt sein. Die nächste Frage ist, was man tun muss, um die Ziele zu erreichen, und wie tut man es, wer setzt es um? Man muss in regelmäßigen Abständen prüfen, wie weit man mit der Umsetzung gekommen ist. Dieser Prozess ist sehr wichtig, um planvoll handeln zu können.
 
Was waren denn Ergebnisse dieses Strategieprozesses nach innen?

STEPHANIE DITTMER Es sind viele neue Themen aufgekommen, die wir zukünftig weiterverfolgen. Ein Beispiel: Wir machen uns z. B. Gedanken über Diversität. Oft wird dieses Thema als Schlagwort verwendet. Wir müssen es also ifo-spezifisch ausbuchstabieren, um es mit Leben zu füllen. Wie sieht die Zusammensetzung unserer Belegschaft in Bezug auf die Geschlechterbalance aus oder hinsichtlich der geografischen oder sozialen Herkunft und viele andere Themen, die damit zusammenhängen. Und wie wünschen wir sie uns in der Zukunft? Die Diskussionen darum haben einen erheblichen Impact im Institut.

Zu jeder Strategie gehören auch Indikatoren, sogenannte Key Performance Indicators, mit denen man ihren Fortschritt messen kann. Wie funktioniert das in der Praxis?

CLEMENS FUEST Einige Ziele sind sehr komplex. Da kommt man mit KPI nicht weiter. Wie sich bestimmte Forschungsstrategien realisieren lassen, schauen wir uns z. B. eher an Fallstudien an. Bei anderen Themen ist es leichter: Wo publiziere ich in welcher Zeitschrift,
wie gut bin ich darin, wie viel Drittmittel werbe ich ein?

STEPHANIE DITTMER Auch der Fortschritt bei Themen wie Genderbalance lässt sich leicht messen. Wir schauen uns an, wie viele weibliche Führungskräfte wir z. B. im wissenschaftlichen Bereich haben. Das kann man zählen. Dort, wo das Gleichgewicht nicht gegeben ist, müssen wir nachbessern. Wir können rechtzeitig eine Strategie mit definierten Maßnahmen einleiten.

Welche Rollen spielen die Mitarbeitenden im Strategieprozess?

CLEMENS FUEST Der Strategieprozess darf keine Veranstaltung sein, bei der etwas von oben vorgeschrieben wird. Am ifo gibt es darüber einen Dialog. Alle Gruppen können sich einbringen. Die Beiträge führen wir zusammen. Das Ergebnis sollten alle tragen und verstehen. Natürlich gibt es immer unterschiedliche Meinungen. Sollten wir jetzt stärker die Politikberatung betonen oder die Teilnahme an öffentlichen Debatten? Oder vielleicht die Exzellenz in der Forschung. Am Ende lassen sich die Ziele gar nicht voneinander trennen. Klar ist aber, dass das Ganze auf breiter Basis stattfinden muss.

„Führungskräfte in modernen Wissenschaftsorganisationen müssen es schaffen, Ideen zu entwickeln, aber gleichzeitig Ideen anderer zusammenbringen und dadurch teilweise auch komplexe Projekte ermöglichen.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts

„Das wichtigste Kapital der Marke ifo ist unsere Reputation.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts

Im Rahmen des Strategieprozesses haben Sie sich auch mit der Markenidentität des ifo Instituts beschäftigt. Inwiefern kann man das ifo als Marke sehen?

CLEMENS FUEST Das ist sinnvoll, auch wenn wir im nicht kommerziellen Bereich tätig sind. Denn genau wie bei einer Marke ist unser wichtigstes Kapital Reputation. Mit dem ifo Institut sollten Menschen assoziieren: Bei uns findet Forschung zu Wirtschaftsfragen statt, wir beraten die Politik. Wir erheben und verarbeiten Daten und stellen der Öffentlichkeit verlässliche Informationen zur Verfügung.

Gibt es aus Ihrer Sicht einen Unterschied zwischen diesem Wunschbild und dem, was die Leute von außen tatsächlich mit der Marke ifo verbinden?

CLEMENS FUEST Vor 20 Jahren hätte man vielleicht gesagt, ifo ist entweder ein Meinungsforschungsinstitut oder Teil der Universität. Inzwischen sind wir bei der Kommunikation unserer Markenidentität schon ein Stück vorangeschritten. Ich denke, wir haben heute die Reputation, dass hier hochkarätige Forschung gemacht wird, dass Informationen produziert werden, die verlässlich sind. Bei wirtschaftspolitischen Fragen hören wir oft – vor allem wenn die Gefragten anderer Ansicht sind – wir stünden der Wirtschaft viel zu nah.

Und – stimmt das?

STEPHANIE DITTMER Wir bemühen uns, unabhängig und transparent zu agieren. Leider leben wir in einem Umfeld, in dem Fakten immer wieder in Frage gestellt werden und in dem sich die politische Auseinandersetzung immer mehr polarisiert. Da hilft es, klar darzulegen, warum bestimmte Argumente vorgetragen werden, oder mit welcher Methodik Ergebnisse generiert wurden. Das schafft Vertrauen bei den Menschen, zumindest bei denen, die offen sind, auch wenn sie vielleicht eine andere Meinung vertreten.

CLEMENS FUEST Das heißt nicht, dass man nicht selbst auch Position beziehen darf. Aber sobald wir Dinge bewerten, sollten wir sehr deutlich machen, dass das die Position einzelner Personen ist. Und eben klar trennen zwischen Bewertungen einerseits und Fakten andererseits. Das ist nicht ganz so einfach: Schon die Auswahl bestimmter Fakten und ihre Präsentation bzw. das Weglassen anderer beinhaltet immer eine Wertung.

„Aufgabe der Führung ist Moderation und Coaching. Jede Führungskraft sollte sich darum bemühen, dass die Menschen, die am ifo Institut arbeiten, im weitesten Sinne erfolgreich sind.“

Dr. Stephanie Dittmer, Vorstand ifo Institut

„Führung über Command und Control würde in der Wissenschaft nicht funktionieren.“

Dr. Stephanie Dittmer, Vorstand ifo Institut

Sie agieren am ifo als Doppelspitze, wobei Sie, Herr Fuest, deutlich sichtbarer sind als Sie, Frau Dittmer. Solche Konstellationen gelten als nicht ganz einfach. Wie gehen Sie damit um?

STEPHANIE DITTMER Für mich ist Respekt für die Arbeit des anderen der Kern. Auch zu verstehen, was den anderen antreibt. Wir haben verschiedene Zuständigkeitsbereiche und wir reden viel miteinander. Und wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, dann reden wir so lange, bis wir uns geeinigt haben. Ich glaube, das funktioniert bei uns sehr gut. In vielen Situationen ist es hilfreich, wenn man Dinge mit jemand im Vertrauen besprechen kann und die Entscheidung nicht allein fällen muss.

CLEMENS FUEST Man muss sich im Grundsatz verstehen und man muss eine gemeinsame Idee darüber haben, was das Institut will. Das führt dann wieder zu dem Strategieprozess, über den wir anfänglich gesprochen haben. Den muss man gemeinsam entwickeln. Wenn man sich in den Basics schon nicht einig ist, dann wird es schwierig.

Sie beide leben diese Führungskultur am ifo Institut vor. Welches Führungsverständnis wünschen Sie sich für die Organisation insgesamt?

CLEMENS FUEST Heute findet Wissenschaft in Teams statt und ist nur wenig hierarchisch. Führung hat deshalb in modernen Wissenschaftsorganisationen sehr viel mit Koordination und Moderation zu tun. Führungskräfte müssen es schaffen, Ideen zu entwickeln, aber gleichzeitig Ideen anderer zusammenbringen und dadurch teilweise auch komplexe Projekte ermöglichen. Wenn es z. B. um das wissenschaftliche Programm geht, bedeutet das, in einen Dialog einzutreten mit unseren Bereichsleiterinnen und Bereichsleitern, und mit den Postdocs, den Doktoranden. Auch mit allen, die uns beraten, z. B. unserem Wissenschaftlichen Beirat oder den ifo Freunden.

STEPHANIE DITTMER Führung mit Command and Control würde in der Wissenschaft heute nicht mehr funktionieren, da würde es sehr schnell massiven Widerstand geben. Ein Credo in der Wissenschaft ist, mit Überzeugung zu führen. Bevor Entscheidungen getroffen werden, führen wir viele Gespräche, holen Informationen aus dem Institut ein, wägen das Für und Wider ab. Und wir versuchen transparent zu machen, warum wir uns wie entscheiden. Und das möglichst überzeugend rüberzubringen. Aufgabe der Führung ist Moderation und Coaching. Jede Führungskraft sollte sich darum bemühen, dass die Menschen, die am ifo Institut arbeiten, im weitesten Sinne erfolgreich sind.

Das Interview führte Dr. Cornelia Geißler, Bereichsleiterin Kommunikation.

Dr. Stephanie Dittmer ist seit September 2017 Mitglied des Vorstands am ifo Institut. Zuvor war sie Leiterin Strategie, Impuls- und Vernetzungsfonds an der Helmholtz-Akademie für Führungskräfte, Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V.

Prof. Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest ist seit April 2016 Präsident des ifo Instituts, zuvor war er Präsident und wissenschaftlicher Direktor des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

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Dr. Cornelia Geißler

Dr. Cornelia Geißler

Bereichsleiterin Kommunikation
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